Wie uns das Patriarchat noch in den Knochen steckt
Ich liege auf dem Sofa und scrolle auf dem Smartphone. Im Jahr 2019 ist Gleichberechtigung längst erreicht, oder? Es frappiert mich, wie Frauen sich selbst inszenieren: Auf Youtube beim Kochen, Ausmisten, Basteln, Schminken oder Kartenlegen. Als Experten für „harte“ Themen wie Finanzen und Politik sind vor allem Männer zu sehen, wie auch eine Studie belegt.
Auf Instagram herrscht ein Wettbewerb der Yoga-Mädchen, möglichst viel nackte Haut zu zeigen. Und in Insta-Stories schauen erfolgreiche Influencerinnen lächelnd von schräg unten in die Kamera: Ein Blick, der fragt „Magst Du mich?“. Mit zartem Stimmchen sprechen sie von Interview-oder Affiliate-Partnerinnen als „die LIEBE Soundso“ und sprechen ihre Zuschauerinnen wie Teenager-Freundinnen an: „Ich nehm Euch jetzt mal mit und ich bin sooo gespannt, wie ihr das findet!“ Männer, so besagte Studie, machen häufiger klare Ansagen, betonen bei Interviewpartnern Kompetenz statt Sympathie und machen ganz sicher weniger Selfies.
Ist das unser Ernst, Frauen?
Wollen wir so miteinander sprechen? Warum verfallen wir auf Social Media in Schulhof-Tage zurück, biedern uns bei anderen Frauen an und gehen auf Nummer sicher, statt Klartext zu reden und auch mal anzuecken?
Die Antwort: Weil uns das Patriarchat noch in den Knochen steckt
Historisch lässt sich das so erklären, dass die patriarchale westliche Kultur eine Grundstruktur etabliert hat, in der die Männer in der Mitte stehen und miteinander die gesellschaftlich relevanten Dinge aushandeln. Die Frauen stehen jeweils hinter ihrem Mann. So bilden die Frauen einen zweiten Kreis um die Männer herum. Aber: Die Frauen sind dabei nicht untereinander verbunden. Sie stehen in Konkurrenz zueinander. Der eigene Mann muss am erfolgreichsten, die Kinder am klügsten und hübschesten, das Zuhause am repräsentativsten sein. Frauen, die keinen Mann haben, stehen ganz im Abseits. Weil Beziehungen unter Frauen in den letzten Jahrhunderten von dieser Struktur geprägt waren, müssen wir ein ehrliches, offenes, wirklich unterstützendes Miteinander unter Frauen heute ganz neu lernen. Und dafür haben wir immer noch verdammt wenig Vorbilder.
Das, was wir seit unserer Kindheit in den Medien sehen, hat sich zwar ein wenig verändert, ist in der Essenz aber nach wie vor durchdrungen von alten Bildern: Alten Bilder und Geschichten, die kulturell unbewusste Dynamiken wiederholen. Die uns noch in den Zellen stecken. Auch wenn wir in Kontexten leben, in denen wir nicht mehr als Hexen verbrannt, in zu engen Schuhen oder Korsetts eingeschnürt werden oder Keuschheitsgürtel angelegt bekommen, beschnitten, vergewaltigt, als Kinder verheiratet werden: Strukturell lebt das in uns fort – mehr oder weniger bewusst oder unbewusst.
Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Elizabeth Debold hat genau diese Schattenseiten untersucht, die uns Frauen als Preis für die gesellschaftliche Evolution bleiben. Um unserer evolutionäres Potential zu entfalten, gilt es nun, uns diese bewusst zu machen und Licht in diese Schatten zu bringen. Und da steht für uns in nahezu allen Lebensbereichen richtig Arbeit an.
Was ist das Potenzial?
Denn tief in uns sind noch Strategien verankert, mit denen wir uns aus diesen einst gefährlichen Situationen retten, wie wir sie vermeiden oder daraus als Siegerinnen hervorgehen. Wir haben gelernt, unsere Körperlichkeit zu unserem Nutzen einzusetzen –sei es nur subtil – und im Austausch für unsere von Männern begehrten Körper Schutz und Sicherheit zu erhalten. In dieser Dynamik haben wir unseren Platz hinter dem Mann eingenommen. Als Frau, die sein Auftreten in der Öffentlichkeit unterstützt und eigene Selbstverwirklichung oder Meinungsäußerung vermeidet. Wenn, dann „als Frau von“, die Position des Mannes voll unterstützend. Nicht jedoch als Paar auf Augenhöhe. Und woher auch? Waren Deine Eltern miteinander auf Augenhöhe? Deine Großeltern? Wohl nur in absoluten Ausnahmefällen. Und, was heißt Augenhöhe? Was heißt Gleichwertigkeit?
Unser Potential liegt nun in dem Terrain, das noch unbeschrieben ist. Der erste Schritt besteht darin, Abstand zu schaffen zu gewohnten Gedanken und Verhaltensweisen: Vielleicht bist Du gar nicht die Frau, die über andere Frauen lästern muss um sich besser zu fühlen? Vielleicht gar nicht die, die unbedingt besser sein muss als andere Frauen? Vielleicht erkennst Du dahinter nur das reale Bedürfnis, in Sicherheit zu sein, gut genug zu sein um im Kampf um die einst raren „guten Männer“ nicht zu verlieren. Und vielleicht bist Du auch nicht die Frau, der es darum geht, schön und makellos auszusehen? Vielleicht findest Du einen tieferen Kern in Dir und kannst von dort Deine Eitelkeit, Dein Streben nach Perfektion und auch die abwertenden Stimmen in Deinem Kopf als Reaktionen auf Unsicherheit erkennen? Unsicherheit, die in einer anderen Zeit einmal sehr real und aufs Überleben bezogen war.
Es gibt viel zu tun.
Fangen wir bei uns selbst an. Sanft, aber klar. In den folgenden Blogposts erfährst Du, worin die stärksten „Bullshit-Rules“ bestehen, die die Mainstream-Kultur uns heute über Frauen vermittelt, und wie Du aus ihnen aussteigen kannst. Ich teile dabei die Ergebnisse meiner Studie von 450 aktuellen Mainstreamfilmen und meine jahrelange Erfahrung als Coach und Trainerin für Frauen, die diese Dynamiken hinter sich gelassen haben.
Bist Du dabei?
Foto: Priscilla du Preez
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1 Kommentar zu „Wie uns das Patriarchat noch in den Knochen steckt“
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